Neues von Sprungtuch

Hier finden Sie regelmäßig Neuigkeiten, interessante Beiträge und auch Urteile zu relevanten Themen, die Menschen betreffen, die plötzlich allein im Leben stehen und mit dieser Situation klar kommen müssen.

Sprungtuch im Münchner Merkur

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„Aus dem großen Berg viele kleine machen“

Die Münchnerin Gerlinde Meier hilft mit ihrem Internet-„Sprungtuch“ Menschen, die einen Partner verloren haben

Als ihr Mann vor drei Jahren an Krebs starb, fühlte sich Gerlinde Meier aus ihrer Welt gerissen. Plötzlich musste sie das Leben allein meistern, Behördengänge machen, Erbschafts- und Rechtsfragen regeln, von denen sie vorher gar nicht ahnte, dass es sie gibt. Die Unternehmerin, die mit einem Partner die Werbeagentur Sagitta Communications betreibt, biss sich durch. Und sie beschloss, anderen in ähnlichen Situationen das Leben zu erleichtern – mit der Internetseite die zu allen relevanten Fragen Ratschläge gibt und Fachleute vermittelt. „Nach unseren Erkenntnissen ist es die einzige Seite mit einem so umfassenden Angebot“, sagt die 59-Jährige. Im Interview erzählt sie von Einsamkeit und Überforderung, schlechten Ratgebern und dem schönen Gefühl, Gutes zu tun.
-Warum brauchen erwachsene, selbständige Menschen ein Sprungtuch? Da kann ich nur meine eigene Situation wiedergeben: Ich war eine gstandne Frau. Aber als mein Mann starb, zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Du magst schon gar keine Post mehr aufmachen, weil du genau weißt: Da ist wieder irgendetwas drin, was dich überfordert. Du stehst vor einem Riesenberg. Und meine Hoffnung ist, dass wir mit unserem Angebot aus diesem großen Berg viele kleine machen. Dass die Menschen sich ganz bewusst in dieser Situation wiederfinden und sagen: Ich kann jetzt nur nach vorn fliehen. Ich muss jetzt was tun, es wird von alleine nicht gemacht. Die Seite gibt einen Input, und wenn ich die einzelnen Punkte abarbeite, hab ich für mich selber am Abend das Gefühl: Ich habe heute was erreicht, und morgen nehme ich mir die nächsten Punkte vor.
-Wie funktioniert Sprungtuch? Ganz einfach: Der User ruft die Seite www.sprungtuch.info auf und erhält einige Basisinformationen. Auf den nächsten Seiten wählt er unter zwölf Situationen, also Tod des Ehepartners oder Trennung, Kinder, eigenes Haus und so weiter, die passenden aus. Dann bekommt er die Themenkomplexe aufgelistet, die in seiner Situation relevant sind – von der Steuerberatung über Erb- und Sozialrecht bis zu Pflege und Hausmeisterservice. Die psychologische Betreuung haben wir in unterschiedliche Fachgebiete aufgeteilt, zum Beispiel wie man die Situation ,plötzlich allein‘ bewältigt, wie man sein Leben neu strukturiert oder auch wie man entspannen oder abschalten kann.
-Wie haben Sie die Themen ausgewählt?
Zum einen hatte ich meine eigenen Erfahrungen, und außerdem haben Jean-Pierre und ich vor dem Start der Website per Anzeige Menschen gesucht, die Ähnliches erlebt haben. Mit 204 Personen haben wir ausführliche Gespräche geführt und ihre Erfahrungen ausgewertet.
-Wie geht es dann weiter?
Wer weitergehende Informationen will, muss sich mit Kontaktdaten anmelden. Dann hat er Zugriff auf Fachartikel, und außerdem gibt es für jeden Fachbereich drei bis fünf Adressen von Fachleuten – Anwälten, Psychologen, Dienstleistern –, die anhand der Postleitzahl nach Entfernung sortiert sind. Da sind auch Fotos dabei, damit man einen Eindruck von der Person bekommt.
Wie wählen Sie diese Fachleute aus? Wir versuchen die Besten zu kriegen. Das beginnt mit der nachweisbaren Qualifikation, und dazu werten wir Bewertungsforen und ähnliche Quellen aus. Auch die Tipps der 204 Interviewpartner sind mit eingeflossen. Fast alle Kooperationspartner auf der Seite habe ich selber besucht, um mir ein Bild zu machen. Ich war zum Beispiel bei einem Psychologen, der hat in der Viertelstunde, die ich bei ihm saß, permanent auf die Uhr geschaut. Und dann hat er gesagt: ,Ja, Trauerbewältigung mache ich auch mit.‘ Solche Leute kann ich nicht empfehlen.
Was sind die größten, dringendsten Probleme, wenn ein Angehöriger stirbt oder ein Paar sich trennt?
Bei Scheidungen und Trennungen, das haben wir bei den Vorarbeiten zur Seite gemerkt, sagen die Betroffenen: Ich bin jetzt nicht nur allein, mir ist auch noch mein Freundeskreis weggebrochen. Die sind dann noch einsamer als eine Frau, die ihren Mann verloren hat. Diese Menschen haben uns ganz dringend gebeten, da etwas zu tun. Deswegen planen wir für nächstes Jahr, auch mal etwas gemeinsam zu unternehmen.
Welche technischen Fragen müssen als Erstes gelöst werden, wenn der Partner stirbt?
Die Beerdigung kriegt man ja noch irgendwie hin. Aber bei uns, wir sind nicht in der Kirche, fing es schon damit an, einen Trauerredner zu finden. Sie glauben gar nicht, was es da gibt. Dann waren die Konten eingefroren, weil mein Mann kein Testament hinterlassen hatte. Also brauchten wir einen Erbschein. Da braucht man zuerst den Todesschein, mit dem muss man wieder woanders hin – man ist nur unterwegs. Dann brauchte ich dringend einen Erbanwalt. Durch Zufall kam ich zu einem, der uns derart schlecht beraten hat, dass es mich das bissl Geld, das wir hatten, und unser Haus hätte kosten können. Ein anderes Beispiel: Die Kinder waren nicht mehr versichert, weil die immer bei meinem Mann mitversichert waren. Wer sagt einem das in diesem Moment? Mir fiel es erst auf, als meine Tochter zum Zahnarzt ging und ich eine Rechnung über 1200 Euro bekam.
-Hören die Probleme auf, wenn die ersten Wochen überstanden sind?
Nein, es kommen andere. Ich habe ein Jahr in dem Haus gelebt, und dann habe ich gemerkt, ich kann hier nicht mehr glücklich werden. Ich habe mit den Kindern geredet und gesagt: Ich verkaufe das Haus. Dann fängst Du wieder an, googelst, suchst irgendwelche Immobilienvermittler. Da ging es bei einem Reihenhäuschen um Unterschiede bis zu 220 000 Euro, was für mich ein Vermögen ist. Bei der Su- che nach einer neuen Wohnung brauchte ich wieder irgendwen. Dann eine Umzugsfirma, einen Entrümpler und in der neuen Wohnung einen, der mir die Lampen aufhängt, die Spülmaschine anschließt und all das. So blöd das jetzt klingt: Ich hatte auch niemanden, der mir am Fernseher mein Sky wieder einrichtet. Man sucht und sucht und sucht.
-Haben Sie das alles nur als Last erlebt, oder war es auch willkommene Ablenkung?
Für mich war das alles nur eine Last, weil ich in der Beziehung sehr verwöhnt war. Mein Mann hatte sich immer um alles gekümmert. Ich musste nie eine Rechnung anschauen, das war einfach erledigt. Ich bin nicht der Bürotyp. Ich hätte gern mehr Zeit für mich gehabt, um auch zu trauern.
-Hatten Sie vorgesorgt? Nein, eben nicht. Mein Mann hatte Krebs und wir wussten, dass es zu Ende geht. Aber er hat um sein Leben gekämpft und bis zuletzt geglaubt, dass er gesund wird. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen: Du stirbst bald, lass uns eine Patientenverfügung und eine Betreuungsvollmacht machen, sage mir die Passwörter für Computer und Bankverbindungen. Und die Kinder konnten das auch nicht. Deshalb kann ich allen nur raten: Kümmert euch vorher darum! Das muss erledigt werden, solange keiner krank ist und man sich unbelastet in die Augen schauen kann.
-Hilft die Seite da auch? Selbstverständlich. Die Themen und die Fachleute, die man braucht, sind ja dieselben.
-Trifft es Männer oder Frauen härter, wenn sie plötzlich auf sich allein gestellt sind?
Unter den Nutzern unserer Website sind mehr als 60 Prozent Frauen. Ich glaube, die Männer geben nicht so gerne zu, dass sie Hilfe brauchen. Aber natürlich gibt es da auch Anfragen der Art: Haben Sie jemanden, der mir mal zwei, drei Tage den Haushalt macht oder mir zeigt, wie ich die Waschmaschine anschmeiße? Man mag es in unserer modernen Zeit kaum glauben, dass Männer – und ich rede jetzt nicht von 80-Jährigen – nicht wissen, wie so eine Waschmaschine angeht.
-Sie erleben durch die Arbeit an der Website Ihren eigenen Verlust immer wieder neu. Ist das belastend?
Ganz ehrlich: Wenn ich von meinen Erlebnissen erzähle, bekomme ich bis heute Schweißhände und muss eine Zigarette nach der anderen rauchen. Es belastet mich schon. Aber ich bin auch dankbar, wenn ich dann die Kommentare der Betroffenen lese, die sagen: Endlich nimmt das mal einer in die Hand. Das zeigt mir: Es war die richtige Entscheidung, das zu tun.
-Haben Sie selbst Kontakt mit den Nutzern der Seite? Ja. Das möchte ich auch noch ausbauen. Aber im Moment liegt mein Hauptaugenmerk darauf, das Netz auszubauen. Wir sind gerade daran, Kooperationspartner über den Raum München hinaus in ganz Oberbayern zu finden. Der nächste Schritt ist dann, dass ich mir mehr Zeit nehmen möchte, mit den Menschen zu telefonieren. Wir haben schon jetzt immer wieder Anrufe – der Stimme nach von älteren Menschen –, die dann sagen: Können Sie mich bitte mal führen: Ich bin jetzt an der und der Stelle und weiß nicht, wie das mit dem Einloggen geht. Andere fragen: Kostet das was? Dann sage ich immer: Nein, das ist vollkommen kostenlos.
-Wie finanziert sich das Angebot? Durch Beiträge der Kooperationspartner.
Wie viele Nutzer haben Sie schon? Die Seite ist im April/Mai online gegangen und hat jetzt schon fast 500 registrierte Benutzer. Darauf bin ich schon stolz, zumal wir erst jetzt damit anfangen, die Seite zu bewerben.

-Denken Sie auch daran, das Sprungtuch bundesweit aufzuspannen? Geplant ist es, aber ich möchte den Mund nicht zu voll nehmen und keinen Zeitplan festlegen. Wir wollen lieber klein anfangen und den Radius langsam ausbauen. Erstes Ziel ist es, bei der Auswahl der Fachleute, die wir empfehlen, auf Qualität zu achten.

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Interview: Peter T. Schmidt

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